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Zur Wahl habe ich mich gefühlt, wie ich mir die Reichen im Urlaub vorstelle: Der Sessel im Hotelzimmer ist zu unbequem, der Blick aufs Meer wird durch den Obdachlosen auf der Promenade entstellt, die Fischer morgens sind zu laut, auch wenn ich im Restaurant abends ihren frischen Fisch konsumieren möchte. Ja, irgendwie hatte ich dieses Jahr noch mehr an den Parteien auszusetzen. Die SPD baut Wohnungen, die ich mir nicht leisten kann, die FDP arbeitet hart daran, dass ich sofort gefeuert werden kann, die Linkspartei plappert den Misst der Obergrenzen nach (1), die CDU will soziale Vereine verbieten und ihre Gelder streichen, die AfD meine Freunde an der Grenze erschießen, und die Grünen machen mit, was auch immer so gerade im repressiven Diskurs angesagt ist (2). Immer wieder denke ich an das Bild des Wahlomaten als einen Spielautomat: Ich drücke einen Knopf und es spuckt mir beliebig Bilder aus, die mir mitteilen „das hat leider nicht geklappt“. So könnte ich den Knopf am Wahlomaten endlos drücken, und es kommt nichts Brauchbares dabei heraus. Nach der Wahl lassen die gewählten Parteien jenseits der AfD verlauten, dass sie nun weiter auf die Wünsche der AfD-Wählerschaft zugehen wollen. Eine NGO verfasst einen offenen Brief unter dem Titel „Sehr geehrte AfD, wir sind die 87 Prozent, die euch nicht gewählt haben“.(3) Und ich könnte schreien: NEIN!
Bin ich einfach die nicht zufriedenzustellende Urlauberin, die sich wünscht, die Welt würde sich nur nach ihren Wünschen richten? Bin ich, was Sara Ahmed die feministische Spaßverderberin nennt?(4) Als Feministin machen mich die Slogans der AfD wütend: „Die Freiheit der Frau ist nicht verhandelbar“ steht auf einem Plakat, das eine Frau mit Gesichtsschleier zeigt. Was die AfD lieber sehen würde, erklärt ein anderes Plakat, das dünne weiße Frauen in knapper Bademode zeigt „Burkas? Wir steh’n auf Bikinis“. Ich fühle mich entmündigt, über meinen Körper wollen wieder einmal andere entscheiden. Ich verstehe, was mit „nicht verhandelbar“ gemeint ist: Die gewählten Herren wollen über meine Freiheit und meinen Körper nicht verhandeln – sie wollen entscheiden. So weit so gut, mir ist klar, ich soll mehr oder weniger nackt und dabei bitte hübsch anzusehen sein. Was ich als Frau dann zu tun habe, entscheiden sie gleich mit: „Neue Deutsche? Machen wir selber“ sagt der Spruch über dem Bild einer hochschwangeren weißen Frau.
Dass die AfD für nicht tragbar gehalten wird, soll doch diese Verbrüderung zeigen: „Wir sind die 87 Prozent“. Immer noch nicht glücklich? Nein, denn ist es nicht die CDU, die für mehr Überwachung im Inneren und Abschottung nach Außen steht? Und wie viele der Grünen-Wähler_innen sind dagegen, dass ich abtreibe – der Natur widerspreche? Wie viele der FDP-Wähler fordern von ihren Partnerinnen Sex nach einem langen Arbeitstag ein? Wenn ich für körperliche und sexuelle Selbstbestimmung demonstrieren möchte, droht mir dank der vergangenen großen Koalition nun eine 3-monatige bis 5-jährige Haftstrafe, wenn ich aus einem Impuls der Selbstverteidigung einen Polizisten wegdrücke, der mich im Rahmen einer Demo auf den Boden drückt. Erst kürzlich wurde eine Person, die in Embryonalhaltung auf dem Boden lag für ihren Widerstand gegenüber der Polizei zu Gefängnis verurteilt.(5) Ich bin weit davon entfernt, mich parlamentarisch vertreten zu fühlen.
Auch perfide ist das AfD-Plakat, das mir mitteilte: „Der Arbeiterrat ist jetzt blau“. Es bedroht mich auf einer weiteren Ebene meines Lebens und reiht sich leider in die Erfahrung dieser Woche ein, in der die Gewerkschaft, an die ich seit Jahren zahle, mir mitteilt, mir meine Frage nicht beantworten zu wollen, da sie nicht zuständig sei. Ein anderer Text, der sich mit dem Diskurs um die Wahl befasst schreibt: „Unser Widerstand sollte sich daher nicht nur gegen reaktionäre Kräfte wie die AfD richten, sondern gegen Herrschaftsverhältnisse, die permanent Ausbeutung, Rassismus und Gewalt reproduzieren.“(6)
Dieses Sammelsurium an Erfahrungen und Aussagen, die mir den Magen umdrehen, zeigen mir, wie wichtig es bleibt – und zwar jetzt erst recht – sich autonom zu organisieren. Wenn das Demonstrationsrecht mir keine Sicherheit gewährt und die Parteien ankündigen, noch weiter nach rechts rücken und unisono über meinen Körper und meine Rolle entscheiden zu wollen, ist Selbstbestimmung das Mittel der Wahl. Nicht als Individualismus verstanden, in dem ich die Freiheit zwischen Bikini und Schleier hochhalte, sondern als kollektiver Ort der Debatte, des Prozesses, der kollektiven Autonomie in Solidarität. Es ist ebenso wichtig, dafür zu kämpfen, sich gegen Kinder entscheiden zu können, wie auch dafür, dass Menschen Kinder bekommen können, ohne dass es sie in Armut stürzt oder ihre Kinder als Nicht-Deutsche aus dem System ausgeschlossen werden. Es sind nicht die 87 Prozent, die mit mir dafür einstehen werden, dass meine Freunde und Nachbarinnen ohne deutsche Papiere neben mir leben, wohnen und arbeiten können – zu maximal dem gleichen Maß an Ausbeutung, dem auch Deutsche ausgesetzt sind. Es sind nicht die 87 Prozent, die meinen Kollegen davon abhalten werden, respektlose Bemerkungen über meinen Körper zu machen oder mich ungefragt anzufassen. Die Freiheit der Frau ist nicht verhandelbar – und auf gar keinen Fall von einer Partei, einer Ansammlung an Männern oder irgendeiner Institution zu definieren oder durchzusetzen. Feministische Selbstbestimmung kann nur alltäglich und kollektiv erkämpft werden. Unterdessen bleibe ich wohl die nörgelnde Spaßverderberin. Ahmed spricht sich mit diesem Begriff dafür aus, nicht nur partiell feministische Aktionen zu machen, sondern tatsächlich feministisch – in einem intersektionalen Verständnis – zu leben! So schwierig Kämpfe auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene derzeit sind, so möglich und notwendig sind ihre Verankerungen im Alltag. Wir brauchen wieder kollektive Auseinandersetzungen um körperliche Selbstbestimmung und Abtreibung. Wir müssen widerständige Momente in individualisierenden und ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen fördern. Und Solidarität gegenüber Menschen, denen ein Aufenthalt abgesprochen wird, braucht Praxen mehr als Worte.
(1) Sara Wagenknecht wie auch Oskar Lafontaine sprechen sich 2015 während der Debatten um die weitere Begrenzung des Asylrechts für EU Obergrenzen aus und gegen vermeintlich zu hohe Zahlen von Zuwander_innen: „Aber klar ist auch: Wir können nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen.“. Im Anschluss erwägt sie Kontingente. Sie formuliert, wer Asyl braucht, solle es erhalten, es gäbe darüber hinaus aber auch Armutsflüchtlinge – ob mittels deren Abweisung die Zahlen in Maßen gehalten werden sollen steht im Raum. Trotz Kritik aus der Partei blieben sie Vorsitzende. Im Zuge der Debatten um Sylvester 2015/16 in Köln sagte Wagenknecht, „Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt“ und sprach dem Grundrecht auf Asyl erneut seine bedingungslose Legitimation ab. Trotz der Kritik der Parteibasis an ihrer Aussage zum verwirkten Gastrecht spricht sie sich erneut für eine Begrenzung der Zuwanderung aus: „Natürlich gibt es Kapazitätsgrenzen, wer das leugnet, ist doch weltfremd.“. Die Basis entscheidet sich dennoch, Wagenknecht die Parteiführung nicht zu entziehen. Die Debatte ist medial nachzuvollziehen u.a. in folgenden Artikeln: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-07/sahra-wagenknecht-die-linke-fluechtlinge, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlingskrise-das-dilemma-der-linken-a-1062306.html, http://www.tagesspiegel.de/politik/linke-und-fluechtlinge-aerger-um-sahra-wagenknecht/12833340.html. Nach der Wahl 2017 sprach sich Wagenknecht dafür aus, in der Flüchtlingspolitik auf die Wählerschaft der AfD im Osten zuzugehen.
(2) Sei es die Zustimmung Winfried Kretschmanns in Baden-Württemberg, mehrere Balkanländer als sichere Herkunftsstaaten zu deklarieren, oder das Mittragen der Polizeigewalt während des G20 2017 in der Hamburger Landesregierung. In den anstehenden Koalitionsverhandlungen wird sich zeigen, ob die Grünen die von CDU/CSU am 08.10.2017 festlegte Obergrenze für Flüchtlinge als Koalitionspartnerin mittragen werden.
(4) Sara Ahmed 2017: Feministisch leben! Manifest für Spaßverderberinnen. Münster.
1 Kommentar »
Im Folgenden ein Beitrag, der sich mit der Frage nach Abschaffung von Parteien beschäftigt:
Comment by Ute Plass — 13.11.2017 um 21:56.
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