Lustiger Beipackzettel Viagra



Viagra & Co.: Es geht wieder

Weit mehr als eine Million deutsche Männer nehmen die Potenzpillen Viagra, Cialis oder Levitra. Sie verbessern die Lebensqualität entscheidend – und sind inzwischen befreit vom Ruch des Schmuddeligen.

Mit seinem Diabetes hatte Brockmann sich schon vor Jahren arrangiert. Er spritzte Insulin wie Millionen andere. Dann kamen Beschwerden, gegen die das Hormon nichts mehr ausrichten konnte: Weil Diabetes die Durchblutung der Gefäße stört, bekommen viele Probleme mit der Manneskraft. Als Brockmann merkte, wie seine Erektionen schwächer wurden und dann ausblieben, da, sagt er, “habe ich mich nicht mehr als ganzer Mann gefühlt”.

Wäre Brockmann vor zehn Jahren zum Arzt gegangen, hätte der ihm vielleicht eine Vakuumpumpe angeboten, die den Penis umschließt, durch Unterdruck Blut in die Schwellkörper saugt und so eine Standfestigkeit erzeugt, die mit Hilfe eines Gummirings haltbar gemacht werden muss. Oder eine Skat-Spritze, mit der man sich ein gefäßerweiterndes Medikament in den Schwellkörper injiziert. Oder ein aufpumpbares Implantat, das anstelle eines Schwellkörpers eingepflanzt wird. Aber es war das Jahr 1998. Gerade war eine Pille auf den Markt gekommen, die Männern wie Brockmann zu neuen sexuellen Freuden verhelfen sollte: Viagra. Er probierte die “blauen Diamanten”, und sie wirkten: “Meine Frau und ich konnten die Erotik wieder genießen, wie wir es wollten.”

Für Männer hat sich die Welt verändert

Seit der Markteinführung sind sechs Jahre vergangen. Jahre, in denen drei Pharmaunternehmen für zig Millionen Männer die Welt verändert haben – in einem der rasantesten Siegeszüge der Medikamentengeschichte. Sechs Jahre, in denen sich ein Tabu-Thema zur ganz normalen medizinischen Diagnose gewandelt hat. Über die männliche Sexualität und ihre einst so hochnotpeinlichen Pannen darf nun recht entspannt gesprochen werden, eine neue Selbstverständlichkeit hat Einzug gehalten. Denn jeder weiß: Wenn’s nicht mehr klappt, gibt es einfache Abhilfe. Bequem, auf leicht zu bekommendes Rezept und ohne die brachialen Aufrichtungsprozeduren früherer Zeiten. Die Wirksamkeit der Präparate ist gut, durch Studien abgesichert und durch hunderttausendfache Alltagserfahrung. Und weil auch das von Pharmakritikern befürchtete Massensterben herzschwacher Pillen-schlucker ausgeblieben ist, erfreut sich die Arznei hoher Akzeptanz und entsprechender Umsatzkraft.

Pfizer, Erfinder der blauen Rauten-Pille, setzte vergangenes Jahr weltweit rund 1,5 Milliarden Euro mit der Männermedizin um, acht Prozent mehr als im Jahr zuvor und knapp ein Viertel mehr als noch 2001. Eine Million Männer wurden in Deutschland schon mit Viagra behandelt.

Starke Konkurrenz für Viagra

Und das Wachstum hätte noch größer sein können, wären da nicht die beiden Neueinführungen gewesen: Levitra, die Viagra-Konkurrenz von Bayer, setzte im ersten Jahr bereits 144 Millionen Euro um. Cialis, das die US-Firma ICOS entwickelt hat und gemeinsam mit dem Pharmariesen Eli Lilly vertreibt, kam auf mehr als 166 Millionen Euro. Auch auf dem deutschen Markt (Umsatz 87 Millionen Euro) haben die Newcomer reichlich an Boden gewonnen: Cialis setzt inzwischen 23 Millionen Euro um, Levitra 17 Millionen. Insgesamt hat sich die Gruppe der neuen Potenzmittel binnen weniger Jahre einen vorderen Platz in der Rangliste der internationalen Pharmaverkäufe gesichert. Noch besser gehen nur Arzneien, um deren Einnahme betroffene Patienten überhaupt nicht herumkommen wie etwa: Cholesterin- und Blutdrucksenker, Antidepressiva oder Mittel gegen Diabetes.

Eine der häufigsten Zivilisationskrankheiten

“Die Erektionsstörung ist die häufigste Zivilisationskrankheit neben dem Bluthochdruck”, sagt der Hamburger Urologe Hartmut Porst, ein gefragter Fachmann. Allein in Deutschland leiden nach Expertenschätzungen rund sechs Millionen Männer an der “erektilen Dysfunktion” (ED): Trotz Erregung wird ihr Penis nicht mehr richtig oder gar nicht mehr steif. Das ist ein Alarmsignal – es kann ein Marker für Gefäßerkrankungen sein. Männer mit ED haben in den nächsten zehn Jahren ein um bis zu 50 Prozent erhöhtes Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko. In einer neuen Studie des Donauspitals in Wien, bei der 2870 Männer zwischen 20 und 80 Jahren anlässlich einer allgemeinen Vorsorgeuntersuchung Auskunft gaben, fanden die Ärzte in jedem dritten Fragebogen Hinweise auf Erektionsstörungen. Nicht einmalige Frusterlebnisse wurden abgefragt, sondern die Erfahrungen der vergangenen vier Wochen.

Nicht nur Woody Allens “Stadtneurotiker” sind impotent

So ist, was Frauen nachgesagt wurde, längst Männersache geworden: Der Rückzug auf die Floskel “nicht jetzt, Liebes, ich habe schreckliche Migräne”, die Ausrede von der Überlastung im Job. Die Gepeinigten fliehen in Hobbys, weichen Zärtlichkeiten aus, zappen bei Liebes- oder Sexszenen schnell zu einem anderen Programm, nur damit die Partnerin nicht auf den Gedanken kommt, nachzufragen, wann denn eigentlich das letzte Mal war. 8000 Männer aller Alters- und Berufsgruppen aus dem Großraum Köln sind nach einem repräsentativen Schlüssel ausgewählt, angeschrieben und befragt worden. Mehr als die Hälfte antwortete. Das Ergebnis: Der impotente Mann sieht nicht so aus wie Stadtneurotiker Woody Allen, der sagte, dass der Mann den Penisneid nicht den Frauen überlassen kann. Er kann Bauarbeiter sein, Feuerwehrmann oder Arzt. Stark wie ein Bulle oder sanft wie ein Lamm. Es ist auch der junge, aber vor allem ist es der alternde Mann.

Gut, dass es die Pillen gibt

Nach einer Forsa-Umfrage für den stern sagen 75 Prozent der deutschen Männer ab 18 Jahren: Gut, dass es Viagra, Levitra und Cialis gibt. Mehr als die Hälfte der Befragten würde die Pillen selbst ausprobieren, wenn eines Tages Not am Mann sein sollte – bei den unter 30-Jährigen liegt der Anteil gar bei 73 Prozent. Als 1998 die ersten Viagra-Packungen über die Apothekentresen gingen, war die Welt noch nicht reif dafür: triviale Talkshows und Witzkaskaden auf Betriebsfesten, publizierende Feministinnen, im Privaten an der Funktion des männlichen Glieds eher desinteressiert, herablassende Kommentare der Bestsellerautorin Gaby Hauptmann, der die Suche nach einem impotenten Mann fürs Leben schon früher Ruhm und die Lacher auf ihrer Seite bescherte – all das machte ein offenes Viagra-Bekenntnis zu einer Mutprobe, die auch die stärksten der Kerle kaum wagten.

“Ich merkte, ich konnte mal anders”

Wer sich doch traute, dem konnte es gehen wie Hans Büttgen. Der 62-Jährige ist Handelsvertreter, “im Außendienst, Werbebranche, Anzeigenverkauf”. Einer jener Menschen, die sich “offen” nennen, Freikörperkultur lieben und Sauna. Sieben Jahre Ehe, noch eine lange, feste Beziehung und danach “viele freie Sachen mitgemacht”, im Auto, im Wald, im Urlaub, im Tausch, auf Inserat, im Swinger-Club, wo man ihm dann heimlich irgendetwas ins Getränk getan hatte. “Machte ja nichts, war auch sehr schön.” Aber dann, anfangs noch schleichend, (“Ich merkte, ich konnte mal anders”), bald sehr verdächtig (“Da half auch kein Filmchen”), kam die Veränderung. Impotenz – ein schwerer Einbruch in Büttgens offene Welt, die sich plötzlich gnadenlos verschlossen zeigte. Ärzte verschrieben ihm Viagra – und es half. Aber Büttgen hätte es besser nicht verraten. “Das ist doch für Opas”, sagte die neue Partnerin, erzählte es den Freundinnen, die erzählten es in der Kneipe. “Da stand ich in der Ecke, und das war sehr unangenehm.”

“Man dachte, das macht scharf wie Lumpi”

Die Verklemmtheit im Umgang mit Viagra hat einem großen Missverständnis Vorschub geleistet. “Die Leute dachten doch, das macht scharf wie Lumpi”, sagt Günther Brockmann. Ein Irrtum, der teils bis heute die Köpfe blockiert. Der Mann, der Viagra schluckt – er reagiert wie jeder, der es nicht braucht: ohne erotischen Reiz keine Erektion. Denn die Viagra-Pille wirkt, ebenso wie ihre jüngeren Schwestern, nicht auf die Zonen des Gehirns, die Lustgefühle entstehen lassen. Sie verbessert einfach die Durchblutung – indem sie die Produktion eines bestimmten Enzyms (PDE-5) hemmt, das den Penis erschlaffen lässt (siehe Grafik “So wirken Viagra und Co.”).

Viagra auch gegen Atemnot

Weil PDE-5-Hemmer die Gefäße elastischer machen, vermuten Forscher segensreiche Wirkungen über die Penisaufrichtung hinaus. In der Nähe von New York trafen sich vor kurzem Kardiologen, um Studien anzustoßen, mit denen erforscht werden soll, inwieweit PDE-5-Hemmer zur Infarkt-Prophylaxe taugen. Wissenschaftler der Universität Gießen kamen zu dem Ergebnis, dass der Viagra-Wirkstoff Sildenafil Lungenhochdruck bessern kann – eine gefährliche Begleiterscheinung verschiedener Atemwegserkrankungen. Schon geben Internisten Bergsteigern Viagra gegen Atemnot mit in den Himalaya. Außerdem vermuten Wissenschaftler, dass PDE-5-Hemmer, wie andere Potenzmittel auch, einen Trainingseffekt haben. Penisübungen gehören zum Programm der Natur, sagt Klaus-Peter Jünemann, Leiter der Urologie an der Universitätsklinik Kiel. “Der gesunde Mann bekommt deshalb pro Nacht fünf bis sechs Erektionen, alle im Tiefschlaf.” Der Forscher experimentierte Anfang der 80er Jahre als junger Arzt in den USA mit Affen. Die Makaken-Männchen bekamen dreimal die Woche den Penisversteifer Papaverin gespritzt. Anfangs reagierten sie bei 12 mg mit einer Erektion, später schon bei 3 mg. Der Gewebsschnittbefund offenbarte einen deutlichen Übungseffekt. “Mit Viagra könnte es ähnlich funktionieren”, sagt Jünemann. Der Kölner Urologe Frank Sommer verschrieb Patienten 50 mg Viagra vor dem Schlafengehen. Nach zwölf Monaten brauchten es 60 Prozent nicht mehr.

Nebenwirkungen

Und die Nebenwirkungen? Manchen graust es vor schmerzhaften Dauererektionen. Andere fürchten, was sie im Kino gesehen haben, wo Jack Nicholson in “Was das Herz begehrt” heftig verneinte, als der Arzt ihn im Beisein von Frauen nach der Einnahme von Viagra fragte. Und er sich in Panik die Kanüle aus dem Arm riss, als der Arzt hinzufügte: “Das ist nämlich Nitroglycerin. Die Kombination mit Viagra kann tödlich sein.” Tatsächlich ist plötzlicher Blutdruckabfall durch diese Wechselwirkung die große Gefahr beim Einsatz der PDE-5-Hemmer. Lebensgefährlich deshalb auch die Kombination mit Poppers, einer Schnüffel-Droge. Es wird von Verdauungsstörungen, Hautrötungen und Schwindel, verstopfter Nase und Muskelkater berichtet. Bei Viagra kommt es in seltenen Fällen zu mehrere Minuten andauernden Blauschleiern vor den Augen. Das ist harmlos. Wer die Dosis übertreibt, wird mit Kopfschmerzen bestraft. Dauererektionen hingegen sind nur möglich, wenn der Pillenbenutzer auch dauerhaft erregt ist. Und die vielen anfangs berichteten Todesfälle sind größtenteils auf ein altes, Notfallmedizinern vertrautes Phänomen zurückzuführen: mors in coitu – Herzschlag durch Überanstrengung beim Verkehr. Vor allem, wenn die Übung fehlte.

Damit Mann mehr kann

Haben die PDE-5-Hemmer also das Zeug zur Volksdroge? Könnte es sein, dass sie eines Tages bedenkenlos von jedem geschluckt werden, der auch mit 60 oder 70 noch so können will wie mit 20? Dass jeder Mann, der nachts mit einer Zahnbürste in der Jackentasche in die Bar zieht, eine Levitra dazusteckt – einfach, um auf Nummer sicher zu gehen? Schon heute nehmen die Pillen nicht nur Männer, bei denen sonst nichts mehr passiert, sondern auch jene, die einfach öfter wollen, als Mann normalerweise kann. Mit der neuen Liebe, nach der Party, im Bordell. “Ist doch nichts Besonderes”, sagt die Dame aus dem Hamburger Edel-Etablissement “Funny Club”. “Ältere Herren nehmen eine Pille, aber auch jüngere, die nach ein paar Gläsern Sekt ein Problem hätten.” Ein beliebter Gast, kultivierter Herr, 90 Jahre alt, wird schon mal nervös, wenn es dann zu Verzögerungen im Zeitplan kommt. Sie versteht’s: “Man weiß ja, wie ältere Leute so sind.” Auch in der Welt der Schwulen ist der Konsum nicht auf reifere Paare beschränkt. “Nicht nur zu Hause, auch auf bestimmten Partys hält Viagra die Erektion”, sagt Szenekenner Stephan Niederwieser, Autor von Romanen und einem Sexratgeber.

Ursachenforschung wird vernachlässigt

An ein Rezept zu kommen ist nicht schwer. Praktisch jeder deutsche Urologe und die große Mehrheit der Hausärzte haben Viagra & Co. bereits verschrieben. Die Herzgesundheit gilt es abzuklären, Wechselwirkungen mit anderen vom Patienten genommenen Mitteln auszuschließen. Dann kann verordnet werden – was manchmal schon wieder allzu ruck, zuck geht: “Die Medikamente verleiten mitunter dazu, vorschnell das Symptom zu beseitigen, ohne nach den Ursachen der Erektionsstörung zu suchen”, warnt Günther Steinmetz von der Münchner “Selbsthilfegruppe Erektile Dysfunktion”, “aber die kann eben auch ein Hinweis auf gefährliche, noch nicht erkannte Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit oder Arteriosklerose sein.” Seine Begeisterung für die Potenzmittel ist nicht ungetrübt: “Es wird oft übersehen, dass es viele Betroffene gibt, bei denen die Mittel nicht wirken, die sie nicht vertragen oder die sie sich einfach nicht leisten können. Für sie ist ihr Problem gerade wegen des großen Getöses um die neuen Medikamente oft umso schwerer zu ertragen.”

Wie groß die Zahl derer ist, die von vornherein fürchten, vom Arzt kein Rezept zu bekommen, und deshalb lieber im Internet ordern, weiß niemand. Die Bestellung ist simpel: ein Fragebogen am Bildschirm ausgefüllt, schon hat irgendein Cyberarzt in Amerika das Rezept geschrieben, und die Pillen sind auf dem Postweg. “Auf Flughäfen und an Poststellen machen wir Stichproben”, sagt der Sprecher des Zollkriminalamtes, Wolfgang Schmitz, “aber wegen der großen Menge kommt einiges durch.”

Blühender Schwarzmarkt

Zusätzlich zum Internetvertrieb hat sich ein blühender Schwarzmarkt entwickelt. In Singen wurde ein Schmuggler aus der Schweiz mit 1500 Pillen in der Tasche erwischt. In einer Hamburger Spedition entdeckten Fahnder 40 000 Tabletten aus Indien mit dem Aufdruck “Diagra”, Schwarzmarktwert 250.000 Euro. Die stern-Umfrage hat ergeben: Mehr als die Hälfte der Männer in Deutschland finden, dass Viagra auch die Welt der kraftstrotzenden Gesunden verändert hat – weil nun jeder weiß, dass sich gegen den Alters-Albtraum Impotenz relativ leicht etwas tun lässt. Für fast 40 Prozent der Befragten sind die neuen Potenzmittel gar so revolutionär wie einst die Pille für die Frauen. “Das ist die Befreiung des Mannes von der Urangst vor der Frau”, frohlockt der Hormonspezialist und Lifestyle-orientierte Männerarzt Rolf Dieter Hesch. Schon proklamiert er den sanften, aggressionsfreien Mann der Zukunft, der nicht mehr aus Erektionsnot Angestellte knechten und Kriege führen müsse.

Die Rückkehr zum phallusfixierten Mann

Andere halten die Wirkung für weniger segensreich: Sie fürchten nach Frauenbewegung und Kuschelrock eine Rückkehr zum Ancien régime des phallusfixierten Mannes. Der Frankfurter Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch gehört zu denen, die sich sorgen, aber auch er sieht eine Parallele von Pille und PDE-5-Hemmer: das Lösen von Ängsten.

Die Pille für die Frau veränderte das Liebesleben in den 60er Jahren gründlich, insbesondere die 68er Generation wusste den Genuss einer unbelasteteren Sexualität zu schätzen. “When I’m 64”, sangen sie damals mit den Beatles. Nun sind sie wirklich in dem Alter und ihre Männer die Ersten, die mit Hilfe handlicher Pillen dem Verfall ihrer Manneskraft trotzen können – und auch wollen. Viele der heute 60- oder 70-Jährigen tun viel, um ihren Körper fit zu halten. Mit und ohne Testosteroncreme. Sie wandern. Sie reisen. Sie wollen stark bleiben. Früher waren die Männer, die mit Erektionsstörungen den Arzt aufsuchten, meist erst 30 bis 50 Jahre alt. Heute kommen sie noch mit 70 oder 80.

Teure Angelegenheit

Allerdings ist der volle Genuss eine kostspielige Angelegenheit: 13,29 Euro kostet eine Levitra, 12,04 Euro eine Cialis, 13,08 Euro eine Viagra – in der jeweils stärksten Ausführung und aus einer Kleinpackung. Und obschon man ein Rezept braucht, um die Pillen in der Apotheke zu bekommen – auf Krankenschein gibt es sie nicht. Mit der Gesundheitsreform wurde noch einmal zementiert, dass Arzneimittel, “die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion” dienen, nicht bezahlt werden. Ein Urteil des Sozialgerichtes Oldenburg vom 24. März 2004, das Erektionshilfen als Linderung von Krankheitsbeschwerden einstufte, gibt Diabetikern und Querschnittsgelähmten jetzt allerdings Mut, vor den Richter zu ziehen. Das empfiehlt zum Beispiel Wolfgang Diederichs vom Unfallkrankenhaus Berlin seinen rückenmarkverletzten Patienten. “Für sie bricht von einem Moment zum anderen eine Welt zusammen”, sagt der Urologe. Gerade noch auf dem Motorrad und dann bewegungslos, im Kopf den Gedanken: Ich bin ein Krüppel.

“Probiert aus, was möglich ist”

Und: Wie steht meine Partnerin zu mir? Nach der Entlassung die Unsicherheiten: Wie komme ich in mein Bett? Gibt es ein gemeinsames Bett? Wie nähere ich mich ihr? Wie nähert sie sich mir? Diederichs rät den Paaren: Probiert aus, was möglich ist. Seine Erfahrung ist: Mit Viagra, Levitra oder Cialis geht vieles. Auch bei Prostataoperationen setzen Ärzte wie der Kieler Urologe Jünemann daher auf schonendes Schneiden. Sie versuchen die Nerven möglichst nicht zu durchtrennen, wie es zuvor häufig geschah. Denn der Erhalt der körpereigenen Signalleitungen schafft die Voraussetzung dafür, dass die Potenzmittel wirken können.

Dass das Erektionsproblem stets auch ein Problem für die Frau ist, stellt der Sexualwissenschaftler Uwe Hartmann immer wieder in seinen Sprechstunden fest. Hartmann arbeitet an der Medizinischen Hochschule in Hannover, wo Urologen und Psychologen seit zwei Jahrzehnten einander bei der Behandlung von Sexualstörungen ergänzen und wo man sich gleichermaßen mit Patienten und ihren Partnerinnen oder Partnern befasst.

Verunsicherte Männer ziehen sich zurück

Meist erlebt Hartmann wohlmeinende Ehefrauen und Freundinnen, die sagen: “Wir machen das ohne.” Obwohl er aus vielen Beratungsgesprächen weiß, dass “betonhart” oder “25 Zentimeter” nicht die entscheidenden Kriterien sind, sagt er: “Für die sexuelle Befriedigung der Frau ist der Koitus ganz zentral. Auch im Sinne von Verschmelzung.” Bei allem gegenseitigen Verständnis – wenn sich das Leiden über Jahre hinziehe, leide die Frau ebenfalls. Oft auch deshalb, weil sich die verunsicherten Männer zurückzögen, um Enttäuschungen und Selbstdemütigung auszuweichen. Hartmann verordnet PDE-5-Hemmer auch, um Patienten aus dem psychischen Teufelskreis zu holen, ihnen Sicherheit zu geben und die Sexualität auf einer positiven Erfahrung wieder aufzubauen. Auch sehr niedrig dosiert als Kur. Aber er warnt vor Blauäugigkeit beim Einsatz des “blauen Diamanten” und der anderen Präparate – schließlich gibt es Partnerinnen, die das Erschlaffen des Gatten geradezu erleichtert begrüßen. “Die Hälfte der Männer, denen die Ärzte Viagra verordnen, hat zu Hause eine Frau, die ihrerseits Sorgen hat, mangelnde Lust. Die ist froh, dass es mit dem Sex endlich vorbei ist”, sagt Hartmann.

“Glauben Sie, mit Viagra kriegen wir einen Kaltstart hin?”

Aber selbst Frauen, die sich wünschen, die partnerschaftliche Sexualität nach Jahren der Flaute wiederzubeleben, können vom neuen Tempo überfordert sein. Eine hat Hartmann einmal gefragt: “Herr Professor, glauben Sie wirklich, mit Viagra bekommen mein Mann und ich einfach einen Kaltstart hin?” Die Forschung über die Wirkung von Viagra bei Frauen wurde bei Pfizer eingestellt. Ihre Sexualität funktioniert nun einmal anders als die der Männer. Und denen sagt Hartmann: “Ein schlechter Liebhaber wird durch Viagra kein guter.” Manchmal aber haben auch Männer das Problem, das eigentlich das der Frauen schien. “Ein Teil der Erektionsstörungen sind eigentlich Luststörungen.” Die Männer bekommen keinen hoch, weil sie nicht erregt sind. Es gibt viele Ursachen. Mit einer befasst sich Hartmann auch in neurobiologischen Forschungsprojekten. Der für die Erregung zuständige, biologisch relativ alte Teil des menschlichen Gehirns unterscheidet sich kaum von dem höherer Tiere. Aber die menschliche Sexualität wird zusätzlich durch ein fein austariertes Hemmungssystem reguliert. “Sonst könnten wir sie nicht mit unserem komplizierten Sozialleben vereinbaren”, sagt Hartmann und beobachtet bei seinen verkabelten Probanden, dass die Hemmungsseite immer dominanter wird. Grund sei ein Bombardement mit sexuellen Reizen, in der Werbung, im Film, selbst in seinem Vorlesungssaal. “Das Gehirn wird Sexualreizen ausgesetzt, die es ausschalten muss, um sich anständig zu benehmen.”